Kyoll: "Radio:Aktiv"

CD-Cover Kyoll Radio:Aktiv Rezension

Wer die Veröffentlichungen im Alternativsektor der letzten Jahre verfolgt hat, könnte meinen, die Gothicszene sei recht tot. Das ist nicht nur ein dummes Wortspiel, sondern ernst gemeint: Die immer gleichen Bands veröffentlichen seit Jahren mehr oder weniger die gleichen Töne. Daran ist auch per se nichts auszusetzen – warum sollte, was vor 20 Jahren gut war, nun schlecht sein? Aber die Szene entwickelt sich so nicht weiter. Innovationen finden einfach nicht mehr statt. Ein Blick in die Mittelalterszene zeigt ähnliche Tendenzen.

Dabei verfügen beide Szenen über unheimlich viel kreatives Potential, das noch lange nicht ausgeschöpft ist. Kyoll zum Beispiel, eine selbsternannte Endzeitfolkband, mischt mit ihrem neuesten Album munter Genregrenzen wild durcheinander. Auf Radio:Aktiv trifft Endzeitradio (Erde verseucht, Essen und Ärzte Mangelware, Bunker ist Heimat ...) auf eine betörende 20er Jahre Chansonistin , Steampunk-Attitüden und mittelalterliche Instrumente. Damit der Endzeit genüge getan wird, sorgen deutsche Texte und durchgehende Industrial-Sounds für die nötige Härte. All das wird einmal durch den Mixer gejagt und dann mit Radioansagen garniert den Hörern präsentiert. Heraus kommt eine experimentelle Klanglandschaft, die ganz sicher so noch nie produziert worden ist. Das fertige Werk hat Beschreibungen wie kreativ, innovativ, vielfältig und unkonventionell wirklich verdient. Aber es ist eine Mischung, an die man sich vor den Lautsprechern erst einmal gewöhnen muss. Damit die Gewöhnung leichter fällt, haben die Musiker den stärksten Track des Albums angemessen bebildert und für prominente Unterstützung gesorgt. Fertig war das absolut sehenswerte Video zur Bunkerparty:

Leider hält das Album nicht, was die Bunkerparty verspricht. Keiner der anderen Tracks hält mit der gelungenen Auskopplung mit. Die einzelnen Lieder besitzen zwar durchaus tolle Ideen, die auch beim wiederholten Hören aufhorchen lassen, aber sind noch zu unausgereift, zu sperrig, um wirklich einzuschlagen. Auch die verruchte Sängerinnenstimme kommt viel zu selten zum Zuge, und die vergleichsweise dilettantischen Radioansagen stören den durchgängigen Hörfluss. Dennoch gibt es auf Radio:Aktiv eine Menge lohnender Ansätze. Wenn die Damen und Herren es schaffen, ihren wilden Musikmix ein wenig zu zähmen, werden sie bald das nächste große Ding in der Szene – und das wäre ein schöner Beweis dafür, dass Totgesagte manchmal länger leben.

 

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