Zoran Drvenkar: „Du“

Zoran Drvenkar: "Du" Buchcover
"Du" bist ein Massenmörder - tatsächlich?

Wir begegneten uns in der Stadtbücherei. Seine Gestaltung fiel mir direkt ins Auge: Ein schwarzer, schlichter Einband, darauf ein Typ, der mich nicht einmal anschaute, aber zwei Buchstaben leuchteten mir entgegen: „Du“. Ich? Verwirrt schaute ich mich um, aber weder rechts noch links von mir befand sich jemand. Ich ahnte es: Ein besonderes Buch, auch wenn es nicht mehr druckfrisch war. Sein Inhalt sollte sich als absurde Mischung aus Ideen von David Lynch und Quentin Tarantino entpuppen.

 

Ich nahm es verstohlen zur Hand und drehte es um. Auf der Rückseite stand so etwas wie: „Das ganze Land hat Angst vor Dir. Du bist ein gefürchteter, noch nicht gefasster Serienkiller.“ Nein, das war ich sicher nicht. Ich wusste, dass diese Ansprache ein Marketingtrick des Buchverlages war, ich wusste auch, dass es sich bei „Du“ (mir?) um einen Thriller handeln musste – aber ansonsten wusste ich nichts. Also nahm ich das Buch mit (liebe Marketingabteilung, der Trick funktioniert).

Der Griff ins Regal hat sich gelohnt. Die Thriller-Story, die sich schnell zum Road Movie entwickelt, ist zwar ausnehmend brutal und nur mäßig originell; durch seinen Schreibstil wird dieses Buch dennoch sehr lesenswert. Die Ansprache in der zweiten Person wird konsequent durchgezogen - und das bei über zehn verschiedenen Protagonisten. All diese Protagonisten werden in der 2. Person angesprochen, und zwar ganz egal, ob sie gut oder böse sind, ob sie leben, sterben oder schon tot sind (okay, an der Stelle wird es ein wenig albern, macht aber Spaß).

Direkt das erste Kapitel ist ein Härtetest für die Nerven der Leser. Noch ist man vom ungewohnten „Du“ irritiert, da saust schon die ganz harte Storykeule auf einen nieder: „Du“ bist tatsächlich der eiskalte Massenmörder, der eines nachts im Schneesturm die Vollsperrung einer Autobahn dazu nutzt, die Wartenden in ihren Autos wahllos umzubringen. Ich bin zu zart besaitet, um das toll zu finden; bin kurz davor, das Buch wegzulegen. Doch dann ändert sich die Perspektive: „Du“ bist ein Teenager-Mädchen, das mit seinen Freundinnen im Kino einen Film anschaut. Es ist langweilig, Du gehst raus, zündest dir eine Zigarette an, flirtest ein wenig mit einem anderen Raucher. Nach dem Anfangshorror ist dies nun fast ein wenig zu langweilig, allerdings werde ich auch neugierig: Was hat der Serienkiller mit diesen Mädchen zu tun? Er wird sie doch nicht umbringen? Um es vorweg zu nehmen: Nein, wird er nicht. Aber die Mädchenclique ist auch keinesfalls so harmlos, wie sie sich zu Beginn präsentiert. Im weiteren Verlauf werden immer neue Personen eingeführt, teilweise verwirrt das permanente Wechselspiel. „Du“ bist immer jemand anders. Das zieht aber auch fortwährend in die Geschichte hinein, auch beim vierten, fünften Wechsel. Die Kapitelüberschriften nennen jeweils den Namen der Person, die dann mit „Du“ angesprochen wird. Wo ist der rote Faden, möchte man zwischendurch rufen. Im Netz schreiben enttäuschte Leser davon, das Buch spätestens an einer dieser Stellen für immer zugeklappt zu haben. Tut das nicht!

Es fügt sich spätestens in der Mitte des Buches auf eine wunderbar absurde Art alles zusammen. wenn sich die Mädels-Clique immer tiefer in ein Netz aus Drogen, Lügen und Gewalt verstrickt. Es geht um tiefgefrorene Leichen, kleine und große Ganoven, eine große Menge verschwundenes Koks und einen Profikiller. Schließlich bleibt den Teenies nur noch die Flucht Richtung Norden, denn die bösen Jungs sind ihnen dicht auf den Fersen. Hier taucht auch der Serienmörder vom Beginn wieder auf, und es gehört zu den überraschenden Wendungen, dass er in dieser neuen Konstellation eigentlich der Unschuldigste von allen ist ...

Die gesamte Geschichte ist liebevoll überzeichnet. Quentin Tarantino hebt grüßend die Hand. Wer schon immer mal Pulp Fiction lesen wollte, wird „Du“ lieben.

 

Mehr zum Buch und eine Leseprobe auf Zoran Drvenkars Autorenhomepage:

http://www.drvenkar.de/