Marie Hermanson: Himmelstal

Buchtitel und Colver von Marie Hermanson, Himmelstal
Marie Hermanson: Himmelstal

Achtung, Urlaubsschmöker: Ein spannender Thriller voll nordischer Kälte und alpiner Schönheit will mit ins Reisegepäck! Der Inhalt dieses Thrillers hält, was das Cover verspricht: Hier kontrastiert hinterwäldlerische Bergidylle mit Psycho-Horror. Heraus kommt eine so noch nicht gekannte, verführerische Melange, die von einer kenntnisreichen Autorin genussvoll ausgebreitet wird: Himmelstal, ein fiktiver Ort irgendwo in den Schweizer Alpen, scheint dem erholungssuchenden Daniel zunächst das Paradies auf Erden. In einer dortigen Luxusklinik erholt sich sein Zwillingsbruder Max von seinen psychischen Leiden. Als Daniel Max besucht und die beiden unterschiedlichen Brüder nach Jahren der Trennung wieder zueinander finden, geht für ihn ein langgehegter Wunsch in Erfüllung - glaubt er zumindest ...

Doch die Vorgeschichte von Max und Daniel, die während seiner Ankunft in der Schweiz enthüllt wird, weist bereits darauf hin, dass dieser Urlaub nicht so wird, wie Daniel ihn sich wünscht: Der Übersetzer hatte es zeitlebens schwer, eine eigene Identität aufzubauen. Als Dolmetscher fühlte er sich immer eher in der Rolle derer, die er dolmetschte. Seine Ehe ging jüngst in die Brüche, er braucht nun Abstand zu allem. Sein Bruder Max hingegen war schon immer das enfant terrible, niemand wusste, welche Gemeinheiten er sich als nächstes einfallen lassen würde. Doch als Daniel in Himmelstal eintrifft, scheint es, als habe Max sich dort einer Therapie unterzogen, die offenbar Früchte trägt: Er ist gut gelaunt und umgänglich. Liegt es an den bewaffneten Wachposten am Eingang, dass Daniel sich zunehmend unwohl fühlt?

 

Eines Morgens verschwindet Max spurlos, und Daniel, der ihm schon immer ähnlich sah, nimmt unversehens seinen Platz ein. Es passiert, was passieren muss: Die scheinbare Idylle entpuppt sich als überhaupt nicht idyllisch, sondern als der wohl schlimmstmögliche Ort auf Erden - und Daniel ist dort ganz auf sich allein gestellt ...

Frau Hermannson erzählt sachlich, spannend, mitfühlend. Ihr klarer Stil, der alles berichtet und dabei scheinbar doch so viel auslässt, beeindruckt vor allem bis etwa zur Hälfte des Buches. Die Leser fragen sich bis dahin unwillkürlich, ob nicht vielleicht doch mit Daniel etwas nicht stimmt: Könnte er ein unzuverlässiger Erzähler sein, der nicht weiß, das er krank ist? Könnte er sich die gesamte Wirklichkeit (oder Teile davon) nur einbilden? Befindet er sich wirklich an dem Ort, an dem er glaubt, zu sein? Die schlussendlich präsentierte Lösung ist dann in zweiten Teil eher typische Thriller-Kost und kommt mit viel Action daher. Das ist in Ordnung und tut der Spannung keinen Abbruch, doch für ein richtiges Meisterwerk fehlt genau an der Stelle die unvorhergesehene Wendung, der psychologische Kniff oder die alles entscheidende Auslassung. So wird aus dem intelligenten Psycho-Schmöker schlussendlich "nur" ein guter Schmöker. In jedem Fall ein toller Pageturner für den Hotelpool, Badesee oder Balkonien!

"Himmelstal" auf der offiziellen Verlagsseite - inklusive Buchtrailer und Autoreninterview:

www.suhrkamp.de