Tom Hillenbrand: Hologrammatica

Tom Hillenbrand; Hologrammatica. Thriller bei Kiepenheuer und Witsch 2018.
Tom Hillenbrand; Hologrammatica. Thriller bei Kiepenheuer und Witsch 2018.

In diesem Schmöker trifft William Gibson auf Jerry Cotton. In einer weit (oder, wie uns manchmal klar wird, vermutlich doch nicht mehr so weit) entfernten Zukunft lebt ein Privatschnüffler, entschuldigung, hier heißt das Quästor, namens Galahad Singh in London. Er betrachtet die Menschen um sich herum mit ausgesuchter Ironie. Eines Abends, als er gerade mitten in seinen geliebten Übungen am Saxophon ist, geht seine Türklingel, und eine Klientin steht vor der Tür...

Eine Anwältin bittet ihn stellvertretend für ihre wohlhabende Kundin, sich um die vermisste Tochter zu kümmern. Die Polizei sieht nämlich keinen Grund, zu ermitteln, nur weil die Erwachsene über eine Woche nicht aufzufinden ist. Die Ermittlungen gestalten sich schwierig, nicht zuletzt, weil in Hillenbrands Zukunft niemand mehr viel auf so etwas wie Realität, Wahrheit oder Wirklichkeit gibt.

 

Science-Fiction dient gerne als Gedankenexperiment, um verschiedene „Was wäre wenn“- Fragen durchzuspielen. Da ist beispielsweise die Frage, wie fortschreitende technische Entwicklungen eine Gesellschaft verändern können. Sollte man der Technik wirklich jeden Winkel der Gesellschaft öffnen oder ihr Grenzen setzen? Bei Tom Hillenbrand sind die Möglichkeiten grenzenlos. Die Menschen in "Hologramamtica" sind der Lage, nicht nur ein anderen Aussehen anzunehmen, sondern tatsächlich auch in einen ganz anderen Körper zu schlüpfen. Es ist hier unmöglich, anhand des Aussehens zu wissen, wem man wirklich gegenüber steht. In einer Welt, in der holografische Projektoren omnipräsent sind und Gegenstände und Personen an jedem Ort von Hologrammen überdeckt werden, kann man sich nicht mehr auf seine Augen verlassen.

 

Doch damit nicht genug: Eine der bahnbrechensten Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte könnte künstliche Intelligenz werden. Noch vor kurzen warnte Elon Musk, Chef der Firmen Tesla und SpaceX, erneut vor KIs. Sie seien gefährlicher als Atomwaffen. Denn niemand kann vorhersagen, wie sich ein Programm verhält, das lernfähig ist, sich selbst verändern kann und über große Ressourcen verfügt.  Findigen Hackern ist es heute schon möglich, unbemerkt in die Rechner anderer Leute einzudringen. Wie leicht würde dies erst einer Intelligenz fallen, die diverse Aufgaben gleichzeitig übernehmen könnte und in der (schriftlichen) Kommunikation von Menschen quasi nicht mehr zu unterschieden ist?


All diese und viele weitere "Was wäre wenn"-Fragen spielt der Autor durch. Weder das Zukunftsszenario noch der Plot sind für Kenner des Genres besonders neu, und dennoch möchte man den gut lesbaren Text, in dem die weit fortgeschrittene Digitalisierung elegant durch jede Seite schimmert, nicht mehr aus der Hand legen. Die Story nimmt die Leser mit auf eine Reise in eine faszinierende, aber auch verstörende Zukunft, die - und das ist vielleicht das verstörenste daran - nicht allzu weit von den heutigen Möglichkeiten entfernt ist.

 

"Hologrammatica" wird im Laufe der Lektüre zu einem Konglomerat von Technik, einer Gesellschaft, die sich an diese Entwicklungen angepasst hat und dem Einzelnen, einem Ermittler bei der Lösung eines Falls. Die Tatsache, dass besagter Ermittler leidenschaftlicher Saxophonspieler ist, wäre für das Flair nicht einmal notwendig gewesen, unterstreicht die Film-Noir-Atmosphäre aber wunderbar. Er ist auf sich gestellt, die futuristische Welt besitzt viele Schattenseiten und von zahlreichen Stellen lauert Gefahr. Was Galahad auf seiner Queste erlebt, entspricht einem Querschnitt durch die technischen und sozialen Besonderheiten dieses ausgehenden 21. Jahrhunderts. Dabei bleibt die Handlung durchweg spannend. Die Möglichkeit, immer von seinem Gegenüber überrascht zu werden, führt zusätzlich zu diversen Aha-Momenten beim Lesen.

 

„Hologrammatica“ ist auf jeden Fall allen zu empfehlen, die gerne darüber nachdenken, was die Zukunft bereithalten mag. Aber auch Liebhaber ungewöhnlicher Detektivgeschichten kommen auf ihre Kosten. Für die Fans von klassischer, harter Thrillerkost mag die Story hingegen etwas zu vielschichtig sein.

 

Hologrammatica erschien bei Kiepenheuer & Witsch.