Auf Öko-Tour in Brüssel

Eine historische Hausfassade mit blauem Himmel.
Turn&Taxis - einst königliche Lagerstätte, heute Ideenschmiede für ein nachhaltigeres Brüssel.

Die belgische Metropole Brüssel ist nicht nur charmante Hauptstadt Europas, die mit ihrer historischen Architektur Gäste aus nah und fern anzieht, sondern auch Think-Tank für Öko-Ideen von Morgen. In der Nachbarschaft von Manneken Pis und Atomium tüfteln engagierte Menschen an Lösungen für Probleme, die heute viele europäische Großstädte und ihre Bewohner:innen umtreiben. Auf der Grundlage von Wohlstand und Umweltbewusstsein entsteht dabei eine ganz neue Art von Nachbarschaft.

 

NRW Alternativ hat sich auf Einladung von Visit Brussels vor Ort umgesehen und neben jeder Menge wunderschöner Orte auch viele interessante Denkansätze gefunden. Einige davon haben das Potenzial, das Gestern mit dem Morgen zu versöhnen, ohne im Heute auf etwas Verzichten müssen.

 

Wie erfährt man aber als Gast von den Öko-Initiativen und lernt Menschen kennen, die etwas bewegen wollen? Man bucht eine Öko-Tour mit Emilia. Das Prinzip ist so einfach wie genial: Bei dieser alternativen Stadtführung geht es von Öko-Hotspot zu Öko-Hotspot. Läden und Initiativen stellen sich bei der jeweiligen Station selbst vor. Zeit zum Schauen, Anfassen und Fragen stellen bleibt genügend.

„Ich biete diese Touren jetzt seit drei Jahren an“, erzählt Emilia. „Hier in Brüssel bin ich die erste, die so etwas macht. Mittlerweile beschäftige ich ein Team von sechs Guides, und wir wollen mit dem Konzept auch in andere Städte gehen. Der Bedarf ist da, wir werden expandieren.“ Auf so einer Tour lernt man hippe und alternative Seiten der Stadt kennen. Viele davon würden Besucherinnen und Besucher normalerweise gar nicht zu sehen bekommen.

Emilia meint: „Hier in Brüssel passiert eine Menge, aber das meiste geschieht noch im Verborgenen. Gerade Menschen, die nicht in Brüssel leben, bekommen oft überhaupt nichts davon mit.“

Auf der Tour geht es zum Beispiel zu yuman, einem Laden, der ausschließlich lokal produzierte, recycelte Produkte anbietet. Das Motto: Aus Alt mach Schick. Von Deko über Kleidung bis hin zu Kosmetik ist alles dabei. Rund 60 Prozent aller Dinge, die es bei yuman zu kaufen gibt, stammen aus Brüssel, der Rest kommt aus Belgien. Nur, was es vor Ort nicht gibt, stammt aus Europa.

Auch yuman will expandieren und weitere Läden in ganz Belgien eröffnen.

Ein Holzregal voller Pinsel, Döschen und Gläschen.
Kosmetik und Deko als regionale Upcycling-Produkte - Läden wie yuman in Brüssel machen es möglich.

Die passenden Lebensmittel gibt es schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite. The Barn verkauft unverpackte Biolebensmittel aus der Region. Sechs Shops gibt es mittlerweile. Das Motto lautet: Nachhaltige Lebensmittel für alle Menschen verfügbar machen. Die Läden sind schlicht, deutschen Bio-Schick sucht man hier vergebens. An einer Station kann man per Knopfdruck seine eigene Nussbutter herstellen – ganz ohne Zusätze. Wer einmal die Haselnussbutter medium probiert hat, wird nie wieder Erdnussbutter aus dem Supermarkt essen wollen.

Blick in einen Supermakrt mit viel Gemüse.
Funktional, nüchtern, regional und zero waste: Der Bioladen The Barn ist ein Rundum-Sorglos-Paket für alle, die ihre Lebensmittel nachhaltiger einkaufen wollen.

Bei Coucou gibt es einen anderen Blick in die Zukunft: Hier kauft man keine Kleidung, man leiht sich einfach die Sachen, die man nur für einen Anlass braucht – und bevor die schicken Teile den Rest ihres Lebens im Schrank versauern, bringt man sie nach wenigen Tagen  wieder zurück.

 

 

Makesenz ist ein Laden, wie es ihn auch in anderen Städten gibt: Hier wird seit zehn Jahren Naturkosmetik selbst hergestellt und vertrieben. Er liegt im trendig-chicken Viertel Châtelain, das sich ohnehin gut für einen Bummel durch kleine Lädchen und hippe Cafés eignet. Der Kosmetikladen bietet auch Workshops an, in denen man lernt, seine eigene Creme herzustellen.

Eine Frau steht vor einem Ladenschaufenster. Darauf steht Makesenz. Nature for Skin.
Emilia und Ihre Guides führen interessierte Gruppen zu nachhaltigen Initiativen, Projekten und Geschäften in Brüssel.

Mehr alternative Adressen für einen Shopping-Trip durch Brüssel gesucht? Visit Brussels hat da mal was zusammengestellt.

Lokale Produzenten und ihr Müll

Ein schwarzer Sack, aus dem Pilze wachsen.
Huch, da wächst was raus! Keine Sorge, bei Permafunghi in Brüssel ist das so gewollt.

Aber natürlich beschränkt sich Nachhaltigkeit in Brüssel nicht nur aufs Shoppen gehen. In der Stadt ist Müllvermeidung ein großes Thema. Fast könnte man den Eindruck bekommen,

Brüssel befinde sich im Kampf gegen das Wegwerfen. Bei worms geht es um Kompostlösungen für Nachbarschaften, damit der kostbare Rohstoff nicht mehr aufwändig aus der Stadt gekarrt werden muss, und bei Permafunghi wachsen delikate Pilze auf Kaffeeprütt - alles aus Brüssel für Brüssel. „Jeder Kaffee, der in der Stadt getrunken wird, verursacht rund 20 Gramm Kaffeeprütt“, erläutert eine Mitarbeiterin von Permafunghi. „Dass Kaffeeprütt generell ein guter Dünger ist, wissen viele. Wir haben uns gefragt: Lässt sich dieses Material, dass jeden Tag tonnenweise von den Cafés und Bäckereien in den Müll wandert, nicht noch nutzen? Heute bekommen wir den Kaffeeprütt einer Öko-Bäckereikette geliefert. Praktischerweise liegen wir auf deren Auslieferungsroute, das heißt, es fallen noch nicht mal Fahrtkosten oder Emissionen an. Wir nutzen den Kaffeeprütt als Grundlage für unsere Pilzzucht, und die Bäckereikette nimmt uns dann wieder viele unserer Pilze ab – sie macht unter anderem einen pflanzlichen Burger daraus.“ Das ist Cradle to Cradle in Reinform - und es scheint so einfach zu sein.

 

Ein schwarzes Gebäude hinter einem grünen Rasen.
Beeindruckt ganz in schwarz: Der Sitz der Brüsseler Umweltbehörde.

Wer wissen will, wie sich Brüsseler Stadtarchitekten die Zukunft vorstellen, besucht Tour&Taxis. Das ehemalige Lagergelände im sonst eher benachteiligten Norden der Stadt besticht sowohl durch historische Bausubstanz als auch durch moderne Architektur. Der trendige Stilmix erinnert ein wenig an Rotterdam und spiegelt sich auch inhaltlich wider: Neben Büro- und Geschäftsräumen gibt es hier hippe Restaurants, Food-Trucks und Cafés. An alten Bahntrassen soll bald ein großer Park zum Entspannen einladen - zu sehen ist davon heute allerdings noch nicht viel. Dafür umso auffälliger: Ein großes schwarzes Gebäude, in dem die Brüsseler Umweltbehörde untergebracht ist. Es ist ein reines Passivhaus, genau wie das Gebäude der flämischen Regierung daneben. Beide Bauten sollen nicht nur Eindruck schinden, sondern auch als mögliches Modell für weitere Passivhäuser dieser Art herhalten. Beim Blick auf den wunderschönen Historismus des alten Lagergebäudes fragt man sich aber schon, ob nicht auch im Stil der vorletzten Jahrhundertwende klimaneutral gebaut werden könnte ...

Ein Zapfhanhn mit bunten Bildern drauf.
Bunt, bio und lecker: Belgisches Bier aus der Brasserie de la Senne

Nur einen Steinwurf entfernt gibt es dann etwas, für das Belgien berühmt ist: Bier. Die Brasserie de la Senne produziert ausschließlich ökologisches Bier und liegt damit voll im Trend. Sie kauft nicht nur ihre Rohstoffe von Biobauern aus der Region, sondern arbeitet auch mit Solarstrom vom eigenen Dach und sammelt Regenwasser, um es, wo immer möglich, statt Trinkwasser zu verbrauchen. Der Getreidebrei, der nach dem Brauen übrig bleibt, wird an Kühe aus der Region verfüttert, wie Helene, eine der 19 Mitarbeiter:innen, bei der Führung durch die Anlage verrät: „In Belgien gibt es noch nicht viele Brauereien, die ausschließlich ökologisch arbeiten, aber es werden mehr. Alles, was wir nutzen, nutzen wir alles so lange und so oft wie möglich, um Müll zu vermeiden. Wir arbeiten auch so lokal wie möglich, um Transportwege kurz zu halten.“ Das heißt leider auch: Außerhalb von Brüssel sind die süffigen, leckeren Biersorten kaum zu erhalten.

Der Gedanke ist nicht neu, aber in den letzten Jahrzehnten in Vergessenheit geraten: Dass es nicht alles, was gut ist, immer und überall gibt, ja geben muss. Dass Menschen zugunsten von Natur und Umwelt auf eine gewinnträchtige Expansion verzichten, ist auch heute noch vor allem ein Merkmal der Bioszene. Aber wäre das nicht etwas? Einmal in eine fremde Stadt fahren und Dinge kennenlernen, die es wirklich nur vor Ort gibt, statt in den immergleichen Ketten die immergleichen Produkte zu finden?

Ein bunter Sechserträger Bier aus Brüssel mit einem Preisschild dran.
Gibt es leider nur in Brüssel: Bierauswahl der Brasserie de la Senne.

Natürlich muss man auch in Brüssel nach diesen Dingen suchen. Aber es gibt sie – und es werden mehr. Sogar die berühmte belgische Schokolade kann dazugehören - zumindest, wenn sie von Menschen wie Mike & Becky stammt. Die beiden heißen eigentlich Björn und Julia, fanden das für ein Schokolabel aber zu unsexy.

Ein Mann lächelt in die Kamera und hält eine Tafel Schokolade in der Hand.
Björn ist aus Deutschland nach Brüssel gekommen. Der Politologe wollte eigentlich ins Europäische Parlament, hat dann aber die Schokoladenherstellung für sich entdeckt.

„Irgendwann in meinem Leben war mir klar: Ich will was Richtiges machen, was Echtes“, erzählt Björn, der ursprünglich für einen Job im Europäischen Parlament nach Brüssel kam. Er machte seinen Traum wahr und wurde Chocolatier. Heute sind Transparenz und Ehrlichkeit für ihn wichtige Werte. Da sind Biozutaten und faire Handelspartnerschaften die logische Konsequenz: „Wir sehen doch gerade: Corona, Klimakrise – so kann es nicht weitergehen “, meint er. Und weil ihm selbst die Fairtrade-Standards zu niedrig waren, hat er kurzerhand seine eigenen Kontakte zu den Kakaoproduzent:innen geknüpft. Das schlägt sich natürlich im Preis der handgemachten Süßigkeiten nieder, aber - schon wieder so ein Gedanke: Wer sagt eigentlich, dass wir alle so viel billige Schokolade essen müssen, dass wir ganz krank von all dem Zucker und den Zusatzstoffen werden?

Zucker enthält die Schokolade von Mike & Becky natürlich auch, aber hier ist weniger Süße nötig als in herkömmlicher Schokolade. Trotzdem ist das Geschmackserlebnis viel intensiver. Auf künstliche Zusatzstoffe und Aromen wird natürlich verzichtet. Die Kakaoproduzenten bekommen außerdem weit mehr Geld für ihren Rohstoff als von konventionellen oder Fair-Trade-Importeuren.

Dafür leistet man sich dann eben nicht zehn Tafeln, obwohl man es irgendwie möchte ... sondern nur zwei. Win-win für Umwelt und Gesundheit.

Brüssel kann Vorbild für andere Städte sein

Brüssel ist bunt und vielfältig – nicht nur als Touristenmagnet, sondern auch in seinen Ansätzen zur Müllvermeidung und mehr Nachhaltigkeit. Nicht alles, was dort aktuell ausprobiert und gezeigt wird, wird auch eine Zukunft haben. Und nicht alles, was bereits jetzt problematisch ist, kann von heute auf morgen gelöst werden. In Brüssel ist zum Beispiel der motorisierte Individualverkehr sehr sichtbar noch immer der Status Quo. Radfahrende sieht man zwar immer häufiger, aber sie machen insgesamt nur einen kleinen Teil des Verkehrsaufkommens aus.

Wartende Autos an einem Brüsseler Kreisverkehr. Hier wie in anderen Großstäden ein vertrauter Anblick. Einzelne Fahrradfahrer stellen noch die Minderheit.
Wartende Autos an einem Brüsseler Kreisverkehr. Hier wie in anderen Großstäden ein vertrauter Anblick. Einzelne Fahrradfahrer stellen noch die Minderheit.

Aber geht es nicht genau darum? Auszuprobieren, wie wir die Welt mit jedem Schritt ein bißchen besser machen können, ohne auf allzu viel Liebgewonnenes zu verzichten. Zu testen, was in kleinen Maßstäben machbar ist und was in großen. Die Dinge vor der Haustür wieder mehr genießen, weil sie wieder genießbar werden.
Dieser Ansatz ist kein Alleinstellungsmerkmal von Brüssel. Viele andere große Städte probieren Ähnliches – denn die Probleme von morgen lassen sich am besten bereits heute lösen; bevor sie zu Problemen heranwachsen. Damit auch in Zukunft noch Besucher:innen gerne nach Brüssel kommen und die dort Wohnenden weiter glücklich dort leben.
Der Prozess bleibt spannend und vielfältig. Wie Brüssel.

Bildergalerie: Einblicke in das nachhaltige Brüssel

Praktische Tipps für die Reise nach Brüssel


Wie hinkommen?

Ein Zugwaggon mit roten Sitzen.
Bequem und schnell: Mit Thalys nach Brüssel.
  • Brüssel ist natürlich mit allen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Die aktuell wohl umweltfreundlichste Methode ist die Anreise mit Thalys:
  • Er fährt mit 100% erneuerbarem Strom aus der Region.
  • Für Speisen und Getränke wird so wenig Plastik wie möglich verwendet.
  • Das Catering an Bord besteht seit einiger Zeit vor allem aus regionalen und saisonalen Angeboten. Das Angebot von Fleischspeisen wurde reduziert.

Die Privatbahn besitzt einige Besonderheiten:

  • Tickets für die gesamte Strecke von NRW nach Brüssel gibt zum Einheitspreis ab 16 Euro. Wer beispielsweise von Dortmund abfährt, zahlt den gleichen Preis wie jemand, der von Köln oder Aachen abfährt.
  • Bei Thalys gibt es drei unterschiedliche Reisekategorien: Standard, Comfort und Premium. In Premium ist unter anderem eine Mahlzeit am Platz enthalten.
  • Platzreservierung ist immer inklusive.
  • Jeder Zug verfügt über W-Lan und zwei Fahrradstellplätze.

Mehr Infos und Preise: thalys.de

Wo essen und übernachten?

Hummus und Gemüse auf einem Teller.
Lecker: Saisonales Essen im Tero in Brüssel.

Essen und Trinken

Es gibt jede Menge umweltfreundliche und nachhaltige Restaurants und Cafés in Brüssel. Eine kleine Auswahl:

  • Das exquisiteste vegane Restaurant der Stadt ist das Humus x Hortense, das sich  mit einem grünen Michelin-Stern für seine botanische Gastronomie schmücken darf. Hier wird die Pflanze als Ganzes verwertet, dazu gibt es die passenden - weil nur für den jeweiligen Gang kreierten - Getränke.
  • Bei Tero kommen die - hauptsächlich vegetarischen - Speisen vom eigenen Bauernhof, das heißt, es wird ausschließlich saisonal und regional gekocht.
  • Im Les Filles etwas außerhalb des Zentrums gibt es handgemachte vegane Fusion Cuisine in Bioqualität.

Übernachten

Made In Louise

Das alte, verwinkelte Haus wurde bereits 1911 als Hotel eröffnet und verfügt über 48 Betten. Auch heute ist es noch in Familienhand und bietet Green-Key-zertifizierten Urlaub etwas Abseits des Zentrums in der Nähe des Art-Deco-Viertels Sant Gilles – „dort, wo man die echten Brüsseler trifft“, wie der Inhaber sagt. Außerdem wird hier Wert darauf gelegt, soweit wie möglich nur lokale und nachhaltige Produkte aus Brüssel und Umgebung zu verwenden. Das Haus produziert mittels Kraft-Wärme-Kopplung seinen eigenen Strom, viele Produkte sind bio-zertifiziert. Zwei Fahrräder stehen kostenfrei für die Gäste bereit.



Mehr Informationen rund um das nachhaltige und grüne Brüssel gibt es bei VisitBrussels.

 

Ein zweiter Artikel rund um die grünen Seiten der Stadt ist hier auf NRW Alternativ in Vorbereitung.