"Es muss aufhören!" ruft ein junger Mann immer wieder in erstaunlich vielen unterschiedlichen Sprachen. Dabei steht er am Rand auf dem Dach eines Londoner Wolkenkratzers. Die örtlichen Sicherheitsbehörden finden schnell heraus, dass der offenbar geistig Verwirrte zur Codebrecher-Abteilung des GCHQ gehört, einer britischen Geheimdienstorganisation. Als deren Chef auf dem Dach eintrifft und den Mann zu beruhigen versucht, springt er in die Tiefe - und gleich darauf geht in ganz London das Licht aus.
Stehen die beiden Ereignisse in einem Zusammenhang? Vor der Öffentlichkeit zunächst verborgen beginnt man in der Geheimorganisation, nach Hintergründen zu forschen - und stößt auf eine beängstigende Möglichkeit, die die Welt für immer verändern könnte: Kann es sein, dass kein Verschlüsselungsverfahren mehr sicher ist?
Dann war der Stromausfall von London erst der Anfang von etwas sehr viel Größerem. Dann wäre globales Chaos sozusagen vorprogrammiert. Um das zu verhindern, machen sich verschiedene Menschen aus allen Teilen der Welt auf der Suche nach der Person, mit der vermutlich alles angefangen hat. Aber wie findet man jemanden, der nicht gefunden werden will? Der Kern scheint eine Art Code zu sein, den der Hochhausspringer vor seinem Ableben an verschiedene Medien verschickte. Aber niemand kann ihn knacken - bis ein Nobelpreisträger für Mathematik mit dem Problem konfrontiert wird, aber der will eigentlich mit Nichts und Niemandem noch etwas zu tun haben ...
Solide geschriebener Wissenschafts-Thriller
Kleindls Thema ist hochspannend, aber der Autor erzählt nüchtern und sachlich. Er berichtet von der komplexen Materie der Verschlüsselungs-Algorithmen nur gerade so viel wie nötig ist, um der Handlung zu folgen. Das erlaubt natürlich allen, ob mit oder ohne mathematischen Vorkenntnissen, der Handlung zu folgen. An der einen oder anderen Stelle wäre dennoch eine tiefergehende Einführung schön gewesen, um auch als Lesende etwas lernen zu können. Aber ein Thriller ist eben Unterhaltung. Wer nach der Lektüre eine Einführung in Verschlüsselungsverfahren haben möchte, sollte sich bei den Sachbüchern umsehen.
Und wo wir gerade bei Verbesserungspotenzial sind: Die Figuren sind etwas zu einfach gestrickt. Wir begegnen den codelösenden Nerds, die natürlich nicht in der Lage sind, einfache Unterhaltungen zu führen. Der alte Wissenschaftler hadert mit sich und der Welt, die junge Journalistin ist tough und die lesbische Vorgesetzte denkt als einzige im Buch auch mal an Sex. Da reiht sich Klischee an Klischee - das fällt nicht besonders auf, weil das Meiste davon im Rausch der Handlung untergeht, hinterlässt ab und an aber doch einen fahlen Beigeschmack, wenn man daran denkt, dass Bücher darüber mitbestimmen, wie wir die Welt sehen. Aber das ist Kritteln auf hohem Niveau.
Reinhard Kleindl ist übrigens eine spannende Persönlichkeit: Bevor sich der Journalist ganz dem Schreiben widmete, war er als Extremsportler tätig und balancierte in Großstädten auf einem Seil von Hochhaus zu Hochhaus - wer seinen Namen in eine Suchmaschine eingibt, findet entsprechende Bilder. Promoviert hat der Österreicher ebenfalls, und zwar in Physik.
Offenbar ist er ein Mann mit vielen Talenten, denn Schreiben kann er zweifellos auch. Die Story ist gut, der Stil schnörkellos, die Handlung logisch. Besonderen Reiz erhält die Thematik dadurch, dass sie einen Teil unserer komplexen Welt herausgreift, der für uns im Alltag unsichtbar ist, aber mit dem wir dennoch ständig konfrontiert werden. Das macht "Chaoscode" nicht nur zu einem Pageturner, sondern zu einem Thriller, an den man sich auch lange nach der Lektüre noch gut erinnert.
Reinhard Kleindl: Chaoscode. Lübbe Taschenbuch 2024, 383 Seiten, 13 €
ISBN 978-3-404-19275-5
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