Jules Gray: Todschwarze Nacht

Cover des Buches von Jules Gray: Todschwarze Nacht. Thriller. Lübbe 2024
Jules Gray: Todschwarze Nacht. Thriller. Lübbe 2024

Eine Obdachlose als Ermittlerin – kann das einen ganzen Thriller lang gutgehen, ohne unglaubwürdig zu wirken? Es kann, wie Jules Gray mit ihrem spannenden Debüt beweist.

Mitten im nasskalten Winter schickt die Autorin die ehemalige Journalistin Lou durch die Straßen einer deutschen Großstadt.

Dunkelheit, Hunger und Kälte spüren wir beim Lesen genau wie Lou, die zudem erfährt, dass in der letzten Zeit immer wieder obdachlose Frauen ermordet worden sind. Aber offenbar sieht niemand die Zusammenhänge zwischen den vielen Überdosen, die sich die Frauen gespritzt haben sollen und den merkwürdigen Strohblumen, die an den Tatorten zurückgelassen worden sind. Lous Situation spitzt sich zu, als ihr Camping-Zelt niedergebrannt wird und sich eine junge Frau an die Fersen der Einzelgängerin heftet. Ihr journalistisches Gespür lässt Lou vermuten, dass der oder die Täter ebenfalls in der Obdachlosen-Szene unterwegs sind – aber die Szene ist groß und Lou ganz alleine ...

Thriller mit ungewöhnlicher Hauptfigur

Das Kunststück, eine glaubwürdige Obdachlose einen ganzen Thriller hindurch ermitteln zu lassen, gelingt Autorin Jules Gray dadurch, dass sie ihr eine journalistische Vergangenheit und entsprechende Recherche- und Kombinations-Fähigkeiten mitgibt, aber auch damit, dass sie Lou Abstinenzlerin sein lässt - denn so gerne Noir-Detektive sich regelmäßig die Kante geben, so wenig passt Drogenkonsum zu einer Ermittlerin, die auch so schon Probleme genug damit hat, zu überleben.

Apropos:  Weil  Lou auch noch halsstarrig und einzelgängerisch ist, landete sie nach dem Rauswurf beim Job und der Verurteilung bei Gericht kurzerhand auf der Straße. Da ihr diese alte Geschichte, wegen der all das passiert ist, aber noch immer keine Ruhe lässt, kommt sie ohne festen Wohnsitz wieder in die Stadt, in der sie sich per Gerichtsbeschluss eigentlich gar nicht mehr aufhalten dürfte. Sie tut es trotzdem, weil sie ihr Gerechtigkeitsempfinden gegenüber den unschuldigen Opfern nicht abstellen kann. All das ist der Hintergrund dafür, dass Lou sich dort befindet, wo die Lesenden sie kennenlernen: Mitten im Winter auf der Straße, als obdachlose Frau mit panischer Angst davor, von der Polizei kontrolliert zu werden.

Zum Schluss ein actionreiches Finale und gute Aussichten

Damit ist Lou sicherlich keine typische Obdachlose, aber sie kennt die Szene und macht diese fremde Welt auch für uns Lesende mit allen Sinnen erfahrbar. Wir lernen zum Beispiel, warum es nicht immer eine gute Idee ist, in Obdachlosenunterkünften zu übernachten und warum die Menschen auf der Straße einen weitaus größeren Bedarf an Kleidung haben als wir Menschen mit Waschmaschine. Wir spüren die Ressentiments, denen Obdachlose ausgesetzt sind, und die Verzweiflung bei der täglichen Frage: Wo finde ich heute eine sichere Übernachtungsmöglichkeit?

Jules Gray schafft es mit ihrer Schilderung aber auch zu betonen, wie unterschiedlich die Situation der einzelnen Menschen ist und wie sich die Gründe für Ihre Obdachlosigkeit unterscheiden. Dazu kommt die spannende Story um den Killer, den zunächst niemand als solchen erkennt. Das Finale ist dann thrillertypisch ein wenig überdramatisiert, aber es passt zu der Geschichte, die sich bis dahin aufgebaut hat. Ein echtes Happy-End gibt es im Abschluss zwar nicht, aber eine große Portion Hoffnung - und was will man am Ende eines solchen Romans mehr?


Jules Gray: Todschwarze Nacht. Lübbe 2024, 413 Seiten, 12,00 Euro (Taschenbuch).

ISBN: 978-3-404-19238-0

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