
Nach seinem Werk „Hexenprozesse im Sauerland“ wendet sich Historiker und Sachbuchautor Joachim Nierhoff nun der Region Ostwestfalen zu, die er gemäß der früheren Orts- und Gebietsgrenzen systematisch beschreibt. Dafür hat der Autor offenkundig nicht nur viel Zeit in den jeweiligen Archiven verbracht, sondern auch vor Ort nach Spuren gesucht, was zu einer großen Zahl an dokumentarischen Fotos im Band geführt hat. Sie zeigen eindrucksvoll, dass die Zeit der Hexenverfolgungen zwar offiziell seit Jahrhunderten Geschichte ist, sie aber bis heute Spuren in den jeweiligen Orten hinterlassen hat.
Denn viele der Orte, an denen früher Gerichtsverfahren stattgefunden oder Menschen über andere geurteilt haben, existieren noch heute. Außerdem existieren zunehmend Orte des Gedenkens wie Straßen, die Namen von Opfern tragen. Ergänzt werden die aktuellen Fotos mit Bildern des 16. bis 18. Jahrhunderts. Das gelungene Zusammenspiel aus Texten und Bildern erleichtert den Zugang zu einer Epoche, in der vieles so anders war, dass wir es uns heute kaum noch vorstellen können.
Interessant ist dabei vor allem Nierhoffs Darstellung von Einzelschicksalen, die oft mehr über die Gesellschaft aussagen als reine Zahlen und Daten. Dazu passen die „Nachgedanken“ des Autors. Schön ist, dass er außerdem ein Glossar mit wichtigen Begriffen hinzugefügt hat. Leider tauchen dort längst nicht alle Fremdwörter auf, sodass allen, die weniger mit dem Thema vertraut sind, eine zusätzliche Recherche nicht erspart bleibt.
Leider verzichtet der Autor auch auf ein einführendes Kapitel zu den Hintergründen und Strukturen von Hexenglauben und Verfolgungen generell. Stattdessen streut er immer wieder allgemeine Anmerkungen in Einzelfallbetrachtungen ein, was beim Lesen zwar für Abwechslung sorgt, aber auch gewöhnungsbedürftig ist – zumal seine Sprache nicht immer zwischen der Sprache der Akten und unserer heutigen Alltagssprache unterscheidet. So schreibt er zum Beispiel, dass jemand einer „gerechten Strafe“ zugeführt und „mit Ruten gestrichen“ wurde – was harmlos klingt, in der Frühen Neuzeit im Kontext von Hexenprozessen aber nichts anderes heißt, als dass jemand unschuldig verprügelt wird. Eine sprachliche Schärfung hätte an dieser und an vielen weiteren Stellen für mehr Klarheit gesorgt.
OWL vielfach typisch für die Praxis der Hexenverfolgungen
Insgesamt ordnet der Autor die Hexenverfolgungen in Ostwestfalen-Lippe in die damals im gesamten Deutschen Reich übliche Verfolgungspraxis ein. Nierhoff betont, dass in Ostwestfalen-Lippe, wie auch an vielen anderen Orten, die Opfer vor allem unter dem Machtstreben einzelner Juristen und Politiker gelitten haben und die Verfolger weniger von religiösem Fanatismus als von der Aussicht auf persönliche Bereicherung angetrieben wurden. Dafür, dass der Glauben bei den Hexenverfolgungen nur eine untergeordnete Rolle spielte, spricht auch, dass in OWL die Verfolgungen mal vor diesem, mal vor jenem Glaubenshintergrund geschahen – neben katholischer und evangelischer Lehre war der Calvinismus in der Region zur Zeit der Hexenverfolgungen ebenfalls stark verbreitet. Opfer waren in Ostwestfalen-Lippe, wie auch anderswo, in erster Linie Frauen, aber es gab auch Männer, die verbrannt wurden, und sogar Kinder waren bisweilen Gegenstand der Prozesse.
Allen, die sich für Hexenverfolgungen in der Region Ostwestfalen-Lippe interessieren, kann der Band empfohlen werden. Aufgrund seiner eklektischen Darstellungsweise eignet er sich nicht als allgemeine Einführung in die Thematik, aber sehr wohl als regionale Ergänzung, die überdies mit ihren zahlreichen Fotos eine Brücke in die heutige Zeit schlägt.
Gebundene Ausgabe Juni 2025, Sutton Verlag, 120 Seiten, 24,99 €
ISBN 978-3-96303-305-6
Mehr Infos und Bestellmöglichkeiten gibt es direkt auf der Verlagswebseite.
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