So war das Wave-Gotik-Treffen 2019

Spaß beim Viktorian Village: Jedes Jahr treffen sich Fans dunkler musikalischer Alternativen in Leipzig, um gemeinsam zu feiern.
Spaß beim Viktorian Village: Jedes Jahr treffen sich Fans dunkler musikalischer Alternativen in Leipzig, um gemeinsam zu feiern.

Immer zu Pfingsten wird es in Leipzig zappenduster: Rund 20.000 Gothics pilgern dann in die ostdeutsche Kulturmetropole, um vier Tage lang Livemusik zu hören, Museen und Ausstellungen zu besuchen, sich zu treffen und gemeinsam zu feiern. Die Bandbreite der Angebote lässt das Festival, das Anfang der 90er Jahre für die damals noch junge Gruftiszene etabliert wurde, viel mehr sein als nur die Liveacts auf den Bühnen: Es ist ein Treffen, bei dem man in entspannter Atmosphäre Neues lernen und Bewährtes immer wieder entdecken kann.

Ein solches Festival wäre außerhalb von Leipzig überhaupt nicht denkbar. Früher noch mehr, aber auch heute gibt es dort charmante Spielstätten, die noch nicht gänzlich auf Hochglanz renoviert worden sind. Auch wenn die alternative Stadt Leipzig zunehmend kommerzieller wird und die Unterkünfte sowie die Verpflegung in jedem Jahr teurer, so gibt es doch nur hier Möglichkeiten wie die, Konzerten in einer alten Kirchenruine, einer Absintherie, alten Messehallen oder einer entweihten Kirche zu lauschen.

Weil das Festival zu groß ist für nur eine oder zwei Bühnen, erstreckt sich das Treffen über die gesamte Stadt und findet zum größten Teil in verhältnismäßig kleinen Räumlichkeiten statt. Viele private Initiativen und Vereine bieten, ähnlich wie zur Buchmesse, am Pfingstwochenende spezielle Angebote zum Thema an.  Neben Führungen über den wunderschönen Südfriedhof gibt es zum Beispiel ein Treffen von Menschen, die ausgemusterte Leichenwagen fahren. Das ist dann ein wenig so wie in der Car-Tuning-Szene, nur monochromer. Handarbeitsliebende besuchen den "Stricknachmittag für Schwarzromantiker" und Kulturfans bekommen die Möglichkeit, an dem Wochenende kostenfrei in die Leipziger Oper oder das Gewandhaus zu gehen - langes Schlangestehen inklusive. Das Festivalticket kostete in diesem Jahr 130 €, die Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr ist darin enthalten.

Auf diesem Bild sieht man Menschen vor einer Bühne, auf der die Musiker von X-RX stehen.
So unterschiedlich wie das Publikum ist auch die Musik auf dem Wave Gotik Treffen.

Das WGT ist weit mehr als nur ein Festival

Doch die Hauptsache sind neben den zahllosen Bands die Besucher selbst, die sich - auch im Gegensatz zu anderen Festivals der Szene - mal so richtig schick machen: Auf dem WGT zeigen alle, wie sie eigentlich herumliefen, wenn sie dafür in ihrem jeweiligen Heimatdorf nicht immer so komisch angeschaut würden. Da wird gestylt, was der Schminkkasten hergibt, und in mancherlei Kleiderschrank finden sich Outfits, die nur ein Mal im Jahr, nämlich zu Pfingsten, hervorgeholt werden. Die Leipziger haben sich längst an das Spektakel gewöhnt und schauen entweder lächelnd, interessiert oder gleichgültig auf die sonderbaren Gestalten.

Zwischen Subkultur und Superkommerz

In diesem Jahr, dem 28. seit Beginn des Treffens, fiel Pfingsten auf einen späten Termin im Juni und das gute Wetter war da gleich mitgebucht. Weil das Gesamtprogramm mittlerweile so üppig ist, dass es nicht mehr auf einen Faltplan passt, gab es wie auch in den letzten Jahren gleich zwei Pläne, die alle Besucher an den Kassen erhielten: Einen Plan für die Rahmenveranstaltungen, einen für die Bands und Parties. Geboten wurden die altbewährten Veranstaltungsorte: Dazu zählen das Heidnische Dorf am Torhaus Dölitz; ein großer alternativer Mittelalter- und Hippiemarkt, das elegante Schauspielhaus, die Industriekulisse vom Täubchenthal, der wunderschöne Volkspalast, die kleine, aber feine Moritzbastei mitten in der Stadt und viele andere mehr. Leider haben die Leipziger es sich angewöhnt, am Pfingstwochenende zusätzlich ihr Stadtfest zu veranstalten, was stellenweise zu großem Gewühl in der City führte. "Mal eben schnell" von A nach B laufen war da kaum möglich.

Bild der Leipziger Innenstadt mit Grufties
Alle tot: Die-In im Rahmen des Trauermarsches für die ausgestorbenen Arten

Große und kleine Bands der Szene gaben sich die Klinke in die Hand: Es spielten unter anderem In Extremo, Christian Death, Faun, Mila Mar, Darkher, Cradle of Filth und - man höre und staune - Tangerine Dream. Neben der Musik  und den vielen Menschen von sechzehn bis siebzig war der beeindruckende "Trauermarsch für die ausgestorbenen Arten", der auf dunkle Art und Weise an das aktuelle, rasant voranschreitende Artensterben gemahnte, am Montagmittag mit rund 2.000 Teilnehmenden ein Highlight. Die ansonsten eher als friedlich und unpolitisch geltende Gruftiszene zeigte da erstaunlich viel Engagement und mahnte die Politik, endlich konkrete Schritte gegen die Zerstörung unseres Lebensraumes einzuleiten.

In der Galerie Koenitz in der Innenstadt gab es eine kleine, aber feine Ausstellung zum Symbolismus und zum ersten Mal, nach zehn WGT-Besuchen, ist es uns gelungen, die konzertante Aufführung des Herr der Ringe-Soundstracks im Völkerschlachtdenkmal zu besuchen. Das hat sich definitiv gelohnt:  Beeindruckend, mit wie wenig Mitteln man Großes erschaffen kann, wenn der Rahmen stimmt.

Der Rahmen stimmte in diesem Jahr überhaupt erstaunlich oft: Das ging vom astreinen Klang im Heidnischen Dorf und, selten genug, in der Agra-Messehalle, über die wunderbaren dunkelromantischen Tanznächte in der Heilandskirche und reichte bis zu freundlichem Sicherheitspersonal an den Eingängen. Einen Wehmutstropfen allerdings gab es, und der ist altbekannt: Bei der Programmvielfalt reichten vier Tage einfach nicht aus, um auch nur annähernd alles Interessante zu sehen und zu erleben.

Es hilft also nichts, im nächsten Jahr müssen wir alle wiederkommen, um für einige Zeit den Alltag hinter uns zu lassen und erneut einzutauchen in Leipzigs schwarzbunte Märchenwelt. Die Unterkunft ist schon gebucht.

wave-gotik-treffen.de

 

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Die NRW-Alternativ-Rückschau zum 25. WGT

 

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Die NRW-Alternativ-Fotogalerie zum 28. WGT: